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Sport mit Diabetes - Ein Interview mit Antonella Ich habe nach der Diabetesdiagnose alle Sportarten weitergemacht und die Intensität auch beibehalten!space
Antonella ist 30 Jahre alt und lebt seit ihrem zwölften Lebensjahr mit Typ-1 Diabetes und ist das, was man als echte Sportskanone bezeichnen kann. Kurz nach der Diabetesdiagnose hat sie eine Insulinpumpe erhalten und ist vor ungefähr 4 Monaten mit ihrer t:slim X2 von Basal- auf Control-IQ umgestiegen. Dass tägliche sportliche Aktivität und sogar Leistungssport nicht mit Diabetes und Insulinpumpe im Widerspruch stehen, beweist sie in unserem Interview.
"Ich war schon immer ein extrem aktives und sportliches Kind, auch vor der Diabetesdiagnose. Damals habe ich eigentlich jede Form der Bewegung gemacht und konnte es nicht lassen, so viel wie möglich auszuprobieren. Meine Mutter hat mich quasi gar nicht zurück ins Haus bekommen, weil ich immer irgendwas machen wollte.
Ich habe damals vor allem Tennis und Hockey im Verein gespielt. Darüber hinaus war ich begeistert dabei auch Fußball oder Tischtennis in den Pausen und nach der Schule zu spielen, Trampolin zu springen und bin viel Inliner und Skateboard sowie im Winter Ski und Snowboard gefahren. Ich war also quasi immer irgendwie in Bewegung. Ansonsten kam noch das dazu, was sich durch Sportunterricht, Geburtstage und Freund:innen ergeben hat (Surfen, Schwimmen, Judo, Badminton, Basketball, Leichtathletik etc.)
Das Wichtigste zuerst: ich habe nach der Diabetesdiagnose alle Sportarten weitergemacht und die Intensität auch beibehalten!
Da ich sehr schnell nach meiner Diabetesdiagnose eine Insulinpumpe bekommen habe, erinnere ich mich eigentlich nur daran, wie es war bzw. ist, mit einer Insulinpumpe Sport zu machen. Ich war immer ein sehr neugieriges und positives Kind. Dadurch habe ich – glaube ich – es eher als „selbstverständlich“ und vielleicht als kleine Herausforderung gesehen, mein aktives und sportliches Leben ohne Einschränkungen und mit Diabetes fortzuführen.
Trotz meiner generell positiven Einstellung brachte die Diabetesdiagnose natürlich auch Umstellung und Fragen mit sich, schließlich musste ich von einem Tag auf den anderen tausend Dinge beachten:
- • Wann esse ich wie viel vor dem Sport?
- • Was esse ich?
- • Wie gehe ich mit der Insulinpumpe um (mache ich sie am besten ab, damit ich kein aktives Insulin habe und die Pumpe vor Hockeykugeln schütze?)?
- • Wie häufig messe ich meinen Blutzucker?
- • Was mache ich mit meinen weiter blutenden Fingerspitzen beim Sport?
- • Ab welchem Blutzucker sollte ich Glukose zuführen bzw. mit Insulin korrigieren (Sport kann den Zucker auch ordentlich in die Höhe treiben durch Adrenalin und Cortisol).
- • Kann ich die Insulinpumpe beim Sport abkoppeln? Wenn ja, wie lange?
- • Wie bemerken die anderen (Trainer:in und Team), dass etwas mit mir und meinem Blutzucker nicht stimmt? Was sollen sie dann tun und wie schule ich sie vorher?
- • Wie organisiert man es, dass Ausflüge oder Auswärtsspiele/-Turniere ohne Eltern gut funktionieren und der Verein sich nicht aus Sorge vor der Verantwortung „drückt“ und man auch problemlos mitfahren kann?
- • Wie gehe ich mit Risikosportarten um (alles was mit Geschwindigkeit, Bergen, Wasser, Naturgewalten etc. zu tun hat und dadurch weniger vorherseh- und planbar wird)?
- • Wie gehe ich damit um, dass ich vielleicht aufgrund meines Blutzuckers nicht die Leistung abrufen kann, die ich abrufen möchte
Ich gebe zu, das klingt nicht wirklich einfach und aufbauend … aber keine Angst! Das ist alles machbar und organisierbar. Auch dank der heutigen Technik wie CGM-Systemen und Insulinpumpen. Für Außenstehende wirkt das alles oft unkompliziert, einfach und es wird nicht gesehen, was man als Mensch mit Typ-1 Diabetes alles beachten muss. Manchmal kann das echt überfordernd und beängstigend sein.
Ich habe für mich eigentlich Schritt für Schritt Lösungen gefunden und mich vorsichtig mit einer „groben Idee“ an die neuen Umstände und Herausforderungen bezüglich Sport mit Diabetes und Insulinpumpe herangetastet. Dadurch habe ich die Dinge gefunden, die für mich persönlich gut funktionieren oder auch zum damaligen Zeitpunkt gut funktioniert haben … oder eben auch nicht. Hier habe ich aber auch immer wieder erkannt, dass sich manches auch im Laufe der Zeit verändern kann und das finde ich super spannend … sei es durch körperliche Veränderungen, neue Hilfsmittel oder neue medizinische Erkenntnisse. Für mich ist hier ganz klar der größte Gewinn der letzten Jahre: die kontinuierliche Glukosemessung, die temporären Basalraten und dann im Verlauf natürlich auch die Hybrid-Closed-Loop-Systeme! "
"Wie ich oben bereits beschrieben habe, war ich sehr positiv und optimistisch, aber trotzdem hatte auch ich Sorgen, dass es nicht so funktionieren könnte, wie ich es mir vorstelle oder wünsche. Meine größte Sorge war vor allem, wie mein Umfeld darauf reagieren könnte. Führt es vielleicht dazu, dass sich andere Sorgen machen und deswegen mich gewisse Dinge nicht machen lassen? Lässt der Trainer bzw. die Trainerin eher andere spielen, weil sie „verlässlicher“ einsetzbar sind? Bin ich vielleicht „zu kompliziert“? Viele meiner ursprünglichen Sorgen und Bedenken haben sich nicht bestätigt bzw. es war am Ende alles klär- und organisierbar. Schließlich habe ich es geschafft, in der 1. Bundesliga Hockey zu spielen und auch in die Jugendnationalmannschaft mal reinschnuppern zu können. "
"Ich mache weiterhin sehr viel Sport, da es für mich körperlich und mental eine ganz wichtige Ressource darstellt! Hier spielt für mich die Kombination aus Bewegung und Natur eine sehr große Rolle. Ich liebe es, bei jedem Wetter draußen zu sein, meine Umgebung und die Natur wahrzunehmen, Menschen zu beobachten und durch ein Lächeln in Kontakt zu treten.
Verändert hat sich bei mir im letzten Jahr, wie ich Sport mache und das hat sich positiv auf meinen Diabetes bzw. den Glukosewert vor/während/nach dem Sport ausgewirkt. Als ehemalige Leistungssportlerin hatte ich lange die Einstellung bzw. den „Druck“ immer nach Leistung zu streben und mich auch mit anderen verglichen. Ich habe es zum Beispiel schwer aushalten können, wenn mich jemand bei meiner Laufrunde an der Alster überholt hat und somit wurde Sport meist etwas Kompetitives.
Im letzten Jahr war ich an einem Punkt, an dem ich sehr viel Stress hatte, was zu körperlichen und mentalen Schwierigkeiten führte. In dem Zuge habe ich mir irgendwann die Frage gestellt, WIESO ich eigentlich Sport mache: Ich mache Sport wegen der oben aufgeführten Punkte! Aber wie soll ich das alles so genießen (können), wenn ich mit Laktat im Körper und einer hohen Herzfrequenz sowie dem Druck, den ich mir mache, durch die Gegend sprinte? Seitdem ich diese Erkenntnis hatte, gilt folgendes: mir darf nichts weh tun, ich muss immer ausreichend Luft bekommen, es muss immer genug Freude und Kraft für ein Lächeln da sein und wenn mein Lieblingssong kommt, muss ich laut mitsingen können. Ich nenne es „achtsam Sport machen“ und mir, meinem Körper, meiner Seele und meinem Diabetes tut das sehr sehr gut. Ich trainiere jeden Tag 1-2 Stunden.
Meine Woche sieht meistens so aus, dass ich 2x pro Woche Kraft/HIT mit Mobilisationsübungen zu Hause mache und 5x pro Woche Ausdauer (aktuell Longruns zwischen 16-24 km) in der Natur. So viel Sport muss man natürlich keineswegs machen. Für mich ist das aktuell persönlich ein gutes Pensum. Planung spielt bei mir persönlich trotzdem eine große Rolle bei mir. Spontan mal eben mit einer Freundin oder einem Freund laufen zu gehen, ist und bleibt für mich persönlich echt schwierig. Aber da ist jeder Mensch anders. Ich überlege mir eigentlich morgens schon, wann ich am besten Sport mache und richte danach dann auch aus, wann und was ich esse und natürlich auch, wie ich mit meiner Basalrate vorher umgehe bzw. wie ich diese anpasse. Das ist für mich alles schon selbstverständlich und normal, ich denke das ist wie jede Routine … je häufiger du es machst, desto einfacher wird es. In der Planung unterscheide ich zwischen Ausdauer (aerob) und anaeroben Sportarten (Kraft, HIIT, eigentlich alles bei dem die Herzfrequenz schnell ansteigt und auch eher hoch bleibt).
1. Ausdauer: hier habe ich für mich gemerkt, dass der Blutzucker eigentlich immer schnell fällt und ich dadurch mit einem höheren Glukosewert starten und auch während des Trainings Glukose zuführen (Saftschorle, Traubi oder Kohlenhydrat-Gels) sowie meine Basalrate stark reduzieren muss. Für mich persönlich hat es sich hier als am besten praktikabel gezeigt, wenn ich CIQ für eine entsprechende Dauer ausschalte und über die temporäre Basalrate gehe.
2. Kraft/HIIT: Hier kann ich mit einem normalen BZ meist ins Training gehen und schaue dann situativ, ob ich vielleicht die Insulinpumpe für die Zeit ablege (ist meist nicht mehr als 1 Stunde) und/oder einen Traubenzucker esse. Mein Blutzucker ist hier bei mir persönlich tatsächlich nicht so anfällig, wie man es beim klassischen “Pumpen” (Gewichtheben) kennt, da HIIT noch eine dynamische Komponente enthält.
Aber auch hier ist mir wichtig: Jeder Mensch mit Diabetes ist anders und hat andere Vorlieben! Ich glaube, man muss etwas ausprobieren und zwischen verschiedenen Dingen versuchen … und dann findet man einen Weg oder vielleicht auch mehrere Optionen, wie man es gut für sich gestalten kann! Hier hat mir immer sehr geholfen, mir einige Informationen und Empfehlungen von z.B. meinem betreuenden Diabetes-Team oder aus Fachliteratur zusammenzustellen und dann einfach zu probieren und manchmal auch zu kombinieren.Trial and Error. "
Wie Antonella mit der t:slim X2 beim Sport umgeht und wie sie anderen Menschen Mut macht, die sich an das Thema Sport und Diabetes noch nicht richtig rantrauen, erfahrne Sier in Kürze in Part 2 des Interviews.
Video von:
VitalAire
Veröffentlicht:
22. Juli 2024, 15:01 Uhr
Quellenangaben:
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Themen:
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